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Understatement im Beruf Abschied von der dicken Hose

Befördert wird, wer am lautesten krakeelt - obwohl der stille Kollege den Job viel besser machen würde. Ein Grund zur Resignation? Nein. Denn Understatement zahlt sich langfristig aus.
Nur wer sich größer macht, kommt im Beruf voran. Oder?

Nur wer sich größer macht, kommt im Beruf voran. Oder?

Foto: Ole Spata/ picture alliance / dpa

Kennen Sie den Dunning-Kruger-Effekt? Ganz bestimmt. Es handelt sich um eine Faustregel, die von den Psychologen Justin Kruger und David Dunning von der Universität Cornell aufgestellt worden ist. Nach umfangreichen Studien, versteht sich. Sie lautet: Wer am wenigsten Ahnung hat, neigt dazu, sich am stärksten zu überschätzen.

Diese Regel gilt auch im Berufsleben. Allerdings scheint sich das nicht überall herumgesprochen zu haben. Häufig werden diejenigen belohnt, die den Mund besonders voll nehmen: Die Erfolgstypen, Narzissten, Vordrängler. Dass sie unfähig sind, fällt nicht weiter auf. Ihre Imagepflege reicht schon. Und so haben wir es hier gleich mit einem doppelten Dunning-Kruger-Effekt zu tun: Die Inkompetentesten werden von denen am stärksten gefördert, die am wenigsten in der Lage sind, ihre Leistung zu beurteilen. Eben weil sie selbst solche Erfolgstypen, Narzissten und Vordrängler sind.

Umgekehrt sind oftmals die Fähigsten besonders still. Sie vertrauen darauf, dass ihre Qualitäten schon bemerkt werden - leider nicht immer zu Recht. Doch was sollen sie machen? Schaumschlägerei ist ihnen zuwider. Sie können gar nicht anders, als so aufzutreten, unaufdringlich, zurückhaltend, kurz gesagt: mit Understatement.

Unterschätzt zu werden, kann ein Vorteil sein

Understatement ist die Kunst der feinen Untertreibung. Widrigkeiten werden als harmloser hingestellt, als sie sind, Leistungen und Erfolge kleingeredet. Warum sollten Sie das tun? Weil Sie sich damit subtil aufwerten. Und zwar stärker als derjenige, der "auf dicke Hose" macht. Der zeigt nämlich vor allem eins: Dass er diese Showveranstaltung nötig hat.

Der besondere Clou beim Understatement liegt darin, dass Sie damit auch diejenigen aufwerten, die es durchschauen. Sie verlassen sich darauf, dass andere sich nicht vom Anschein täuschen lassen, sondern beurteilen können, was Sie eigentlich geleistet haben. Understatement ist eine Sache für Kenner, während plakative Selbst-PR auch der Dümmste versteht.

Darüber hinaus ist Understatement ein Zeichen von Unabhängigkeit. Sie sind nicht darauf angewiesen, Beifall einzusammeln. Sie kennen Ihren Wert und müssen sich den nicht immer wieder bestätigen lassen. Doch wenn Sie sich gegenüber Konkurrenten behaupten müssen? Dann müssen Sie doch Ihre Stärken zur Geltung bringen. Oder?

Es muss nicht immer ein Nachteil sein, unterschätzt zu werden. Es kann Ihnen nützen, wenn Konkurrenten Sie nicht auf der Rechnung haben. Umso ungestörter können Sie Ihre Fähigkeiten aufbauen, Kontakte knüpfen und Pläne machen - und bei der passenden Gelegenheit zeigen, was in Ihnen steckt. Ihre Leistung kommt umso stärker zur Geltung, weil man sie Ihnen nicht zugetraut hätte. Außerdem ist kaum jemand geeigneter als Sie, Schaumschläger zu entlarven. Die Sympathien sind auf Ihrer Seite. Und wenn Sie mit einer gewissen Beiläufigkeit zeigen, was Sie auf dem Kasten haben, stinkt der andere umso dramatischer ab.

Das ist das Schöne am Understatement: Sie behalten immer etwas in Reserve. Sie setzen Ihre Ziele so, dass Sie noch darüber hinausgehen können. Das gibt Ihnen nicht nur das beruhigende Gefühl zu erreichen, was Sie sich vorgenommen haben. Es hat auch Einfluss darauf, wie Sie wahrgenommen werden. Sie klopfen keine Sprüche, Sie sind ernst zu nehmen.

Allerdings wird es uns immer schwerer gemacht, solche Reserven aufzubauen. Wir sollen Höchstleistungen bringen, an unsere Grenzen gehen oder besser noch darüber hinaus. Wir sollen uns möglichst hohe Ziele setzen. Für Understatement ist das der Todesstoß. Wenn die Ziele so hochgesteckt sind, kann man sie nur noch unterschreiten. Die Aufgabe besteht dann darin, den Eindruck zu erwecken, als hätte man sie doch erreicht. Und genau in dieser Disziplin sind die Showtalente unschlagbar.

Auf den höheren Positionen sitzen überdurchschnittlich viele Narzissten, also Menschen, die zur Selbstherrlichkeit neigen und den eigenen Vorteil über alles andere stellen. Ihr überentwickeltes Geltungsbedürfnis ist der Motor, der sie antreibt und früher oder später an der Konkurrenz vorbeiziehen lässt. Es gibt durchaus die Ansicht, dass dies völlig in Ordnung geht. Weil nur solche Typen die Dinge vorantreiben und die Leute mitreißen.

Ob die Aufgabe einer Führungskraft darin besteht, die Mitarbeiter zu begeistern, wollen wir mal offenlassen. Auf jeden Fall hat es schon immer Führungspersönlichkeiten gegeben, die sich nicht durch äußeren Glanz ausgezeichnet haben, sondern durch Bescheidenheit.

Chefs dieser Kategorie halten sich im Hintergrund. Sie stellen nicht die eigene Person in den Vordergrund, sondern die gemeinsame Aufgabe. Um die zu bewältigen, werden verschiedene Talente gebraucht. Und die ordnen sich keineswegs so bereitwillig unter, wie es die machtbewussten Alphatiere gerne hätten. Gerade hoch qualifizierte Fachkräfte reagieren allergisch auf selbstherrliches Imponiergehabe.

Und doch werden Führungskräfte, die zum Understatement neigen, gerne unterschätzt. Das macht aber gar nichts. Denn Understatement legt es ja eben darauf an. Understatement ist Ausdruck innerer Stärke. Es ist die wirksamste und rücksichtsvollste Art, Selbstbewusstsein zu zeigen.

Zum Autor

Matthias Nöllke (Jahrgang 1962) ist Vortragsredner, Journalist und schreibt Sachbücher über die Arbeitswelt ("Von Bienen und Leitwölfen", "Ich will mich aber aufregen!"). Sein neuestes Buch: "Understatement. Vom Vergnügen, unterschätzt zu werden."