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Streit zwischen Warschau und Brüssel Kompromisslos gegen Kritiker, hart gegen die EU

Die EU-Kommission drängt Polen, die umstrittene Justizreform zu korrigieren - sie droht mit einer offiziellen Verwarnung. Warschau reagiert gereizt und wirft Brüssel Betrug vor.
Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo

Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo

Foto: KACPER PEMPEL/ REUTERS

Am Montag läuft de facto ein Ultimatum der EU-Kommission an Polen ab: Sollte die polnische Regierung ihre umstrittene Justizreform nicht korrigieren, muss Brüssel reagieren. Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans wird wahrscheinlich eine offizielle Verwarnung aussprechen. Es wäre die nächste Stufe im Verfahren zum Schutz des Rechtsstaats, das die Kommission im Januar gegen die Regierung in Warschau eingeleitet hat.

Noch am Montag versuchte die Brüsseler Behörde, einen Kompromiss zu erreichen. Man führe konstruktive Gespräche, so ein Sprecher der Kommission am Mittag. Doch das Verhältnis ist angespannt, gerade in den vergangenen Tagen ist der Ton schärfer geworden.

Brüssel wirft Warschau vor, rechtswidrig die Vereidigung mehrerer Verfassungsrichter zu verweigern, die noch von der Vorgängerregierung ernannt wurden. Außerdem hat die Regierung der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eine Justizreform angestoßen, die nach Ansicht der Kommission das Verfassungsgericht beeinträchtigt. Das Gericht selbst hatte die Reform im März für verfassungswidrig erklärt - doch die Regierung erkennt das Urteil nicht an.

Eine Woche voller Ärger

Am vergangenen Mittwoch sandte die EU-Kommission eine Stellungnahme zur Lage des Rechtsstaats an die polnische Regierung. Das Schreiben sickerte an die Presse durch, und die geäußerte Kritik war heftig: Polen missachte die Regeln der Demokratie, schrieb Timmermans. Menschenrechte, Freiheit, Demokratie und der Rechtsstaat könnten ohne ein handlungsfähiges Verfassungsgericht nicht geschützt werden.

Polens Außenminister Witold Waszczykowski warf der Kommission daraufhin Betrug vor. Noch am Vortag habe Polens Regierungschefin Beata Szydlo mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker telefoniert und ihm ein Kompromissangebot unterbreitet, behauptete Waszczykowski. Juncker sei daraufhin tief zufrieden gewesen und habe versprochen, auf ein Rechtsstaatsverfahren zu verzichten.

Timmermans schickte das Schreiben dennoch - und sollte Polen nicht am Montag einlenken, müsste er das Rechtsstaatsverfahren formell einleiten. Es wäre das erste Mal überhaupt, dass dieses Instrument gegen einen EU-Mitgliedstaat eingesetzt würde. Im Extremfall könnte es zum Entzug von Polens Stimmrecht im Europäischen Rat führen. Das aber gilt als unwahrscheinlich, denn einen solchen Schritt müssten die EU-Mitgliedstaaten einstimmig beschließen. Die ungarische Regierung hat jedoch bereits erklärt, sich zu verweigern.

"Schändung der Verfassung"

Wohl auch deshalb gibt sich die polnische Regierung trotzig. Am Freitag hielt Regierungschefin Szydlo im Parlament eine Rede, in der sie Brüssel einen Angriff auf Polens Souveränität vorwarf und erklärte, sich niemals einem EU-Ultimatum zu beugen. Anschließend verabschiedeten die Abgeordneten mit der PiS-Mehrheit eine Resolution gegen den "Angriff auf die Souveränität Polens".

Die Opposition kritisierte die Regierung scharf. Der ehemalige Vizeaußenminister Rafal Trzaskowski von der liberalen Bürgerplattform warf Szydlo eine "Schändung der Verfassung" vor. Die Regierung beschwöre einen Bürgerkrieg herauf, warnte der Vorsitzende der konservativen Bauernpartei, Wladyslaw Kosiniak-Kamysz.

Dass die PiS-Regierung wenig gewillt ist, ihren Kurs zu ändern, zeigt sich auch an ihrem unverändert harten Vorgehen gegen Kritiker. Kaum im Amt, beschnitt sie die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Sender, entließ nicht genehme Journalisten und stellte Geheimdienste unter Aufsicht. Vergangene Woche traf es dann 32 der 39 wissenschaftlichen Experten im Staatsrat für Naturschutz. Sie sollen den umstrittenen Plan der Regierung kritisiert haben, Abholzungen im rund 9000 Jahre alten Bialowieza-Wald vorzunehmen. Laut Nachrichtenagentur AP wurden sie durch Mitarbeiter aus dem Forstwirtschafts- und Jagdwesen ersetzt.

Der Kurs der rechtskonservativen PiS-Regierung ist innerhalb Polens heftig umstritten. Seit Monaten gibt es immer wieder Demonstrationen mit Zehntausenden Teilnehmern. Anfang Mai protestierte in Warschau fast eine Viertelmillion Menschen, sie forderten einen EU-freundlichen Kurs ihres Landes.

Zusammengefasst: Der Streit um die polnische Justizreform droht zu eskalieren. Die EU-Kommission hat Warschau eine Frist bis Montag gesetzt, um Änderungen an der umstrittenen Justizreform einzuleiten. Doch die Regierung der nationalkonservativen PiS-Regierung will Widerstand leisten.