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Türkei Es ist was faul im Staate Erdogan

Die Türkei hat einen neuen Regierungschef: Binali Yildirim, bisher Verkehrsminister, gilt als profillos und Staatschef Erdogan ergeben. Der ist seinem Ziel vom Präsidialsystem nun näher denn je.
Binali Yildirim vor AKP-Mitgliedern

Binali Yildirim vor AKP-Mitgliedern

Foto: UMIT BEKTAS/ REUTERS

Wer in der Türkei als Politiker Karriere machen will, muss Recep Tayyip Erdogan treu zu Diensten sein, muss sein Sprachrohr sein, darf ihm nicht widersprechen und ihn nicht kritisieren. Dann ist es selbst nach einem Fall möglich, wieder aufzusteigen.

Der künftige türkische Regierungschef Binali Yildirim ist dafür das beste Beispiel.

Die Regierungspartei AKP hat ihn am Donnerstag nach dem überraschenden Rückzug von Ahmet Davutoglu von seinem Posten als AKP-Chef und Premier zu dessen Nachfolger benannt. Am Sonntag soll er auf einem Parteitag offiziell zum AKP-Vorsitzenden gewählt werden, anschließend wird er neuer Regierungschef.

Yildirim, 60, ein Schiffsbauingenieur aus dem osttürkischen Erzincan, ist ein enger Vertrauter von Staatspräsident Erdogan.

Schon in den Neunzigerjahren, als Erdogan noch Bürgermeister von Istanbul war, organisierte er die Fähren in der Stadt am Bosporus. Gemeinsam mit Erdogan zählt er zum Kreis jener Politiker, die im Jahr 2001 die AKP gründeten. Von 2007 bis 2013 war er mit einer kurzen Unterbrechung Verkehrsminister unter Erdogan. Dann musste er das Kabinett im Dezember 2013 nach Korruptionsvorwürfen verlassen.

Yildirim betonte damals, er habe ohnehin aufhören wollen, um im März 2014 als Bürgermeister von Izmir zu kandidieren. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen, denn Izmir ist eine der wenigen Hochburgen der kemalistischen CHP. Erwartungsgemäß verlor Yildirim die Wahl und kehrte als Minister für Transport, Seewesen und Kommunikation nach Ankara zurück. In all den Jahren fiel er weniger durch eigene politische Ambitionen, dafür umso mehr durch Loyalität gegenüber Erdogan auf.

Binali Yildirim

Binali Yildirim

Foto: AP/ Presidency Press Service

Erdogan kommt mit Yildirim seinem Ziel näher

Yildirim galt schon im August 2014 als Kandidat für das Amt des Premierministers, musste aber dem damaligen Außenminister Davutoglu den Vortritt lassen. Dass er die Hoffnung auf einen Aufstieg nicht aufgegeben und dabei Erdogans Unterstützung hatte, deutete sich spätestens Ende April an, als Yildirim eine Petition im erweiterten AKP-Vorstand unterschreiben ließ, wonach Davutoglu das Recht zur Bestimmung von lokalen Parteichefs entzogen und dem Vorstand übertragen werden sollte.

Davutoglu war zu dem Zeitpunkt im Ausland und ahnte nichts von dieser Intrige. Als der Premier davon erfuhr, deutete er an, dass er sich das nicht gefallen lassen und möglicherweise zurücktreten werde. Wenige Tage später machte er seine Ankündigung wahr. Beobachter spekulieren, er sei von Erdogan zum Amtsverzicht gezwungen worden, Erdogan selbst sprach von einer "freiwilligen Entscheidung" Davutoglus.

Mit Yildirim kommt Erdogan seinem Ziel näher, schnellstmöglich ein Präsidialsystem einzuführen. Erdogan dürfte von Yildirim absoluten Gehorsam verlangen. Davutoglu hatte zuletzt versucht, sich dem immer dominanter werdenden Staatschef zu widersetzen. Erdogan, heißt es in Ankara, sei erbost darüber gewesen, dass Davutoglu sich nicht für das Präsidialsystem eingesetzt habe. Yildirims Hauptaufgabe ist nun, die Mehrheit für eine Verfassungsänderung zu organisieren und damit das Präsidialsystem durchzusetzen.

Die Immunität aller Abgeordneten soll aufgehoben werden

Die Wahrscheinlichkeit, dass das gelingt, ist groß. Eine Mehrheit in der Bevölkerung sieht in Erdogan ohnehin den eigentlichen Führer des Landes und der AKP. Faktisch beansprucht er diese Macht schon seit seinem Wechsel ins Präsidentenamt im Sommer 2014 für sich, obwohl der Präsident gemäß türkischer Verfassung - noch - überparteilich zu sein hat und keine exekutive Macht besitzt.

Schon mehren sich die Befürchtungen, dass die Türkei das Flüchtlingsabkommen mit der EU infrage stellt und dass bald wieder Menschen aus Syrien, Irak, Afghanistan und anderen Krisenstaaten über die Türkei nach Europa kommen. Bisher war Davutoglu der Ansprechpartner der EU, künftig ist es der weitaus launischere Erdogan. Und der pocht auf Visafreiheit für Türken im Schengenraum, die EU verweigert das mit Verweis auf die Nichterfüllung mehrerer Kriterien durch die Türkei.

Der nächste Schritt zum Präsidialsystem ist am Freitag die Abstimmung im Parlament über eine Verfassungsänderung, mit der die Immunität aller Abgeordneten aufgehoben werden soll, gegen die derzeit ermittelt wird. Das träfe vor allem die prokurdische HDP, in der Erdogan seine schärfsten Widersacher sieht. Ihren Parlamentariern werfen Erdogan und Staatsanwälte "Unterstützung einer terroristischen Organisation" oder auch gleich Mitgliedschaft vor. Die HDP, behauptet Erdogan, sei der politische Arm der PKK, die als Terrororganisation eingestuft wird.

Die Chancen für eine Mehrheit der AKP im Parlament stehen gut

Bei einem Testlauf am Dienstag hatten bereits 348 von 550 Abgeordneten für die Aufhebung der Immunität votiert - eine klare Mehrheit, aber keine Zweidrittelmehrheit, die für eine Verfassungsänderung nötig ist. Am Freitag kommt es nun zur entscheidenden Abstimmung, und sollte erneut keine verfassungsändernde Mehrheit zustande kommen, kann Erdogan ein Referendum in die Wege leiten. Tatsächlich gäbe eine Aufhebung der Immunität den Staatsanwälten - auf die Erdogan in der Vergangenheit Druck ausgeübt hat - die Macht, darüber zu entscheiden, welcher Abgeordneter sein Mandat ausüben kann und welcher nicht.

Schon wird über vorgezogene Neuwahlen im Herbst spekuliert. Die HDP dürfte dann an der Zehnprozenthürde scheitern, die AKP liegt trotz des holprigen Wechsels an der Regierungsspitze in den Umfragen bei 50 Prozent und mehr. Die oppositionelle CHP käme wie schon zuletzt kaum über 25 Prozent, und die zweitgrößte Oppositionspartei, die nationalistische MHP, ist gerade dabei, sich selbst zu zerfleischen - möglicherweise würde auch sie den Einzug ins Parlament verpassen.

Die Chancen für eine Zweidrittelmehrheit der AKP in einem neuen Parlament stehen also gut. Erdogan könnte auf diese Weise sein Präsidialsystem durchsetzen, ohne auf andere Parteien angewiesen zu sein.

Dass das so kommt, dafür soll jetzt Binali Yildirim sorgen. Für den Politiker ist das eine große Aufgabe. Ein großer Premierminister wird er damit aber nicht.