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Ältere Arbeitnehmer 50 ist das neue 30

Wer heute 50 ist, hat oft noch ein Drittel seines Arbeitslebens vor sich. Deshalb wollen viele nochmal durchstarten - aber die Arbeitgeber ziehen nur selten mit.
Von Martin Scheele

Ein Fahrradunfall katapultierte Gabriele Fahlefeld in ihre zweite Karriere. Vor viereinhalb Jahren stürzte sie und kann seitdem nicht mehr lange stehen. Mit ihrem Job als Arbeiterin am Fließband beim Leuchtenhersteller Trilux war es deshalb vorbei. Für eine über 50-jährige Frau ist das Berufsleben in so einem Fall oft abrupt zu Ende. Nicht so bei Fahlefeld.

Sie sitzt heute gut gelaunt am Empfang der Unternehmenszentrale von Trilux im sauerländischen Arnsberg. Sie spricht mit Kunden und Mitarbeitern, vermittelt Telefonate weiter. Von der Fließbandarbeiterin zur Empfangsdame? Fahlefeld gelang die Neuorientierung durch viel eigenen Einsatz. Sie paukte Englisch und nahm an Rhetorikseminaren teil.

Solche Beispiele mehren sich in Deutschland. Dazu muss kein einschneidendes Erlebnis wie ein Fahrradunfall die Ursache sein. Die Generation 50+ weiß, dass lebenslanges Lernen keine Worthülse sein darf, wenn man am Arbeitsmarkt überleben will.

Denn wer erst mal arbeitslos ist, findet nur schwer wieder einen Job. Wenn überhaupt. Die Arbeitslosenquote Älterer ist zwar in den letzten Jahren zurückgegangen - aber vor allem dank der guten Konjunktur. Zudem müssen die heute 50-Jährigen deutlich länger malochen als die derzeitigen Rentner.

"In der heutigen Generation 50+ hat ein Mentalitätswandel stattgefunden. Sie fühlt sich nicht zum alten Eisen gehörend und will nochmal mit anpacken", sagt Martin Vorhauer von den Grone-Schulen, einem der größten Anbieter betrieblicher Weiterbildung.

Kein Plan für die Älteren

Die Arbeitgeber ziehen allerdings nur zögerlich mit, kritisiert Vorhauer. "Manche Unternehmen haben bislang nicht verinnerlicht, dass die 50-Jährigen deutlich länger als früher arbeiten müssen." In diesen Firmen werde die Generation 50+ nicht in die Planung für die Zukunft mit einbezogen.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt eine aktuelle Studie von "managerSeminare". Demnach stimmen nur ein Prozent der befragten Weiterbildungsanbieter vorbehaltlos der Aussage zu, dass die Firmen inzwischen verstärkt in die Qualifizierung älterer Mitarbeiter investieren. Für acht Prozent ist dagegen das glatte Gegenteil richtig.

Dabei steigt der Anteil der Älteren an Weiterbildungsmaßnahmen seit 2010. Auch wenn es im betrieblichen Bereich von 2012 bis 2014 eine kleine Delle gab, wie eine Infratest-Umfrage zeigt, bildeten sich dafür umso mehr Ältere auf eigene Faust weiter.

Für Deutschlands Unternehmen gibt es genügend Gründe, schnell umzusteuern:

  • Schließlich klagen viele Firmen über Fachkräftemangel .
  • Außerdem ist die Rente mit 63 Jahren seit zwei Jahren Gesetz.
  • Und dann ist da noch die demographische Entwicklung: Die Generation 50+ besetzt dreißig Prozent der sozialversicherungspflichtigen Jobs.

Vor allem die großen Konzerne kümmern sich

Karrierecoach Martin Wehrle beobachtet bei den Unternehmen weiterhin die alte Politik, Mitarbeiter ab 50 loswerden zu wollen. "Noch immer wird viel zu sehr auf die Gehälter und viel zu wenig auf die Erfahrung geschielt." Lediglich im gehobenen Management gelte Seniorität als Qualitätsmerkmal. Tatsächlich gaben jüngst nur 4,2 Prozent von 1500 befragten Firmen an, ein Extrabudget für Maßnahmen rund um den demografischen Wandel bereitzuhalten.

Das Outplacement-Unternehmen Rundstedt sieht inzwischen allerdings schon Veränderungen. Beraterin Kerstin Ercolino, die entlassenen Angestellten bei der Jobsuche hilft, sagt: "Zu uns kommen inzwischen weniger Menschen, die über 55 Jahre alt sind, als noch vor fünf Jahren." Es komme aber stark auf die jeweilige Geschäftsführung des Unternehmens an. "Positiv ist, dass immer mehr Unternehmen zu uns kommen, die ihre älteren Führungskräfte zum Coach ausbilden wollen." Moderator, Netzwerker und Berater: Das sind laut Ercolino die Rollen, die speziell Führungskräfte ab 50 in deutschen Unternehmen jetzt einnehmen.

Es sind vor allem die Großkonzerne, die sich stärker um ältere Mitarbeiter kümmern. So können Daimler-Mitarbeiter jenseits der 50 drei Tage lang mit Hilfe von Trainern neue berufliche Perspektiven erarbeiten. Bei der Bayer AG ist die Weiterbildungsquote der Generation 50+ nur unwesentlich niedriger als in anderen Altersgruppen. Personalmann Jörn Fach sagt: "Das Engagement der über 50-Jährigen ist sehr hoch. Eine Mitarbeiterin machte das neulich mit den Worten deutlich: 50 ist das neue 30."

Das Lebensgefühl trifft auch auf Jobwechslerin Gabriele Fahlefeld zu. Ihre Englischkenntnisse hat sich die ehemalige Fließbandfrau in Akkordarbeit angeeignet. In diesem November ist sie 27 Jahre beim Leuchtenhersteller Trilux. Und: "So lange wie ich kann, möchte ich am Empfang arbeiten."