Wollten Sie als Kind auch unbedingt ein Haustier haben? Einen Hund zum Beispiel - und dann wurde es ein Hamster, als Kompromiss, und der lärmte dann nachts einsam vor sich hin? Oder waren Ihre Eltern ganz dagegen, und die kleine schnurrende Katze blieb ein unerfüllter Traum?

Das kleine Mädchen aus dem neuen Bilderbuch "Lucky!" von Jenny Offill (Text) und Chris Appelhans (Illustrationen) wünscht sich jedenfalls dringend ein Haustier und hat sehr genaue Vorstellungen davon, welche infrage kommen: "Einen Vogel oder ein Kaninchen oder einen dressierten Seehund". Da müsste doch etwas Akzeptables dabei sein, nicht gerade der Seehund, aber vielleicht ein Satinkaninchen?

Nein, die Mutter ist entschieden gegen alle Tiere. Erst nach Tagen der Diskussionen gibt sie ihren Widerstand - scheinbar - auf und sagt: "Du kannst jedes Tier der Welt haben, solange es nicht ausgeführt, gebadet oder gefüttert werden muss." Sicherheitshalber lässt das Mädchen sich das schriftlich geben. Dann holt es sich Rat von der Biologielehrerin, stöbert in der Enzyklopädie und bestellt das Tier, das alle Bedingungen der Mutter erfüllt.

"Lucky!" macht, was er soll: Er schläft und schläft und schläft

Geliefert wird es per Kurier. "Meine Mutter war nicht gerade begeistert", erzählt das Mädchen, denn es ist ein Faultier, mittelgroß, flache Nase, es "sah aus wie ein kleiner Clown". Das Mädchen nennt es Lucky, hängt es in einen Baum im Garten, und dort macht das Haustier genau das, was es tun soll, nämlich rein gar nichts. Es schläft und schläft und schläft und schläft. Als es nach zwei Wochen aufwacht, spielt das Mädchen mit Lucky und gewinnt beim Wettrennen, beim Verstecken, beim Kung-Fu. Nur in der Darstellung von Denkmälern ist Lucky unschlagbar.

Und dann kommt die besserwisserische Mary Potts vorbei und sagt, dass Lucky weniger könne als ihr Papagei oder ihre Katze, nämlich nichts. Damit ist er da, der Leistungsdruck in seiner fiesesten Form, und er nagt an dem Mädchen, das nun Lucky dressieren will. Doch der ist, zum Glück, vollkommen entspannt.

Faultiere erfüllen alle Anforderungen der "Achtsamkeit"

Seit das Faultier Flash in "Zoomania" so wunderbar in Zeitlupe lacht, hätten vermutlich viele Kinder gerne eins zu Hause. "Lucky!" ist lange vor dem "Zoomania"-Hype in den USA erschienen. Es ist, ohne Zweifel, das beste Bilderbuch, das je über Faultiere geschrieben wurde.

Nicht nur ist es originell, liebevoll und lustig und zauberhaft illustriert, sondern es passt auch zu einem der Schlüsselwörter unserer Zeit: Achtsamkeit. Oder: immer mit der Ruhe, bei allem, was man tut. "Im Zeitalter von Slow Food und jedweder Entschleunigung sind Faultiere die Tiere der Stunde", sagt Klaus Humann, Verleger des Aladin Verlags , der das Buch auf Deutsch herausgebracht hat.

Die US-amerikanische Autorin Jenny Offill hat schon mehrere, mit Preisen ausgezeichnete Kinderbücher geschrieben, über missglückte Experimente oder über die großartigen Abenteuer, die man erleben könnte, wenn man nicht gerade schlafen würde. Zwei Romane für Erwachsene hat Offill auch verfasst, zuletzt erschien "Amt für Mutmaßungen" ; es stand auf der Top-10-Liste der "New York Times Book Review" für das Jahr 2014.

Noch ein kleiner Hinweis für alle, die jetzt über die Anschaffung eines Faultiers nachdenken: Nein, das ist keine gute Idee, wegen des Artenschutzes und weil man für die nächsten 35 Jahre einen tropischen Regenwald in der Wohnung anlegen müsste. So lange leben Faultiere nämlich. Wie wäre es stattdessen mit Faultier Eric? Das ist von Steiff  und bewegt sich auch nicht viel weniger als ein lebendes.