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"1979 Revolution": Geschichtsunterricht per Videospiel

Doku-Spiel "1979 Revolution" Mittendrin im Chaos von Teheran

Das Spiel "1979 Revolution" handelt vom islamischen Umsturz in Iran - und erzürnt die heutigen Machthaber. Der Entwickler will ein neues Genre begründen: das dokumentarische Videospiel.

Als der Spieleentwickler Navid Khonsari verkündete, er wolle die Ereignisse vor dem Sturz des Schahs in Iran 1979 zum Spiel machen, folgte die Reaktion prompt: Khonsari sei ein westlicher Spion, schimpfte die iranische Presse damals. Das war 2013.

Nun ist "1979 Revolution: Black Friday"  erschienen, und noch immer funktionieren die Reflexe der iranischen Staatsmedien nach demselben Muster: Der iranische Nachrichtensender Khabar warf Khonsari vor, er verbreite Islamophobie und anti-iranische Propaganda - die Standard-Denunziationen gegen westliche Werke. Das Spiel wurde verbannt, die Website und die Steam-Seite des Spiels sind in Iran gesperrt.

Dabei stellt es Muslime gerade nicht stereotyp als Terroristen dar, wie man das etwa den Shootern "Call of Duty" oder "Medal of Honor" vorwerfen kann. "1979 Revolution" liefert vielmehr eine Innenansicht der Revolution.

Als Spieler steuert man Reza Shirazi, einen jungen iranischen Fotografen, der nach seinem Studium in Deutschland nach Teheran zurückkehrt. Er gerät mitten in die Aufstände. Dort trifft er auf Kommunisten, Volksmudschahidin, die Tudeh-Partei sowie islamische Studenten, unter ihnen Anhänger von Ajatollah Schariatmadari, der dagegen ist, dass Geistliche politische Macht erhalten, und ebenso welche, die mit dem späteren Gründer der islamischen Republik Chomeini sympathisieren.

Erst Hoffnung, dann Schüsse

Navid Khonsari ist in Montreal geboren und hat bis zu seinem zehnten Lebensjahr in Iran gelebt. Seine Familie verließ das Land 1980. An die Demonstrationen auf Teherans Straßen kann sich der heute 46-Jährige noch lebhaft erinnern: "Die Hoffnung der Leute und die Freude überall zu spüren, war faszinierend."

Einige Monate später durfte er das Haus nicht verlassen, weil Soldaten auf der Straße schossen. "Ich habe die Ereignisse damals auf der politischen Ebene noch nicht nachvollziehen können", sagt Khonsari, "aber ich habe ganz sicher die Emotionen der Leute um mich verstanden."

Diese Gefühle transportiert auch das Spiel. Navid Khonsari versteht "1979 Revolution" als eine interaktive Dokumentation. Er selbst nennt das Genre Vérité Games - in Anlehnung an das Cinéma Vérité, das "Kino der Wahrheit". "Wenn wir nicht die gleichen Fehler ständig wiederholen wollen, ist es vielleicht besser, an der Geschichte teilzuhaben, statt nur über sie zu lesen", begründet Khonsari seine Entscheidung, den Stoff ausgerechnet für ein Computerspiel zu nutzen.

Zwar können die Spieler sich auch Texttafeln mit Hintergrundinformationen durchlesen, doch spielerisch erfahren sie etwas anderes: Nicht die lexikalische Ordnung der Geschichtsschreibung präsentiert sich ihnen, sondern das unübersichtliche Durcheinander der Revolution. Die Kleriker und die Linken, die Militanten und die Pazifisten, die Aufständischen, die Monarchisten und Leute, die sich raushalten wollen - inmitten verschiedenster Parteien kann der Spieler kaum neutral bleiben.

Geschichte unterhaltsam verpackt

Das Spiel überfordert dabei absichtlich. Wer die Adventures vom Hersteller Telltale Games kennt, dem ist auch das Prinzip vertraut. Es gilt, sich schnell für eine von mehreren Dialogoptionen zu entscheiden. Abzuwägen, wessen Seite man sich mit einer Aktion annähert, ist oft nicht möglich. Wer selbst in der Ausnahmesituation steckt, dem fehlt der Abstand, um bedacht handeln zu können. Das funktioniert während der Revolution kaum anders als in Telltales Zombie-Apokalypse "The Walking Dead".

Khonsari ist nicht der erste mit der Idee, eine komplexe reale politische Situation mittels eines Spiels begreifbar zu machen. Schon vor etwa zehn Jahren beispielsweise konnten Spieler in "Global Conflicts - Palestine" als Reporter den Nahostkonflikt begleiten. Allerdings war das ein sehr didaktisches Lehrstück.

Nicht so "1979 Revolution". Das Spiel wurde von professionellen Schauspielern synchronisiert, unter anderem von Navid Negahban, der in der Serie "Homeland" den Terroristen Abu Nazir spielt. Es sieht nicht aus wie Unterrichtsmaterial und fühlt sich nicht nach einer Geschichtsvorlesung an, sondern ist ein solides und fesselndes Adventuregame, wenn auch mit etwa zwei Stunden Spielzeit ein recht kurzes und ein technisch nicht ganz aufpoliertes.

Angst vor der Rückkehr nach Iran

Am Lauf der Geschichte können die Spieler natürlich nichts ändern. Nach dem Sturz des Schahs errichtet Ajatollah Chomeini ein schiitisch-theokratisches Regime. Dieses erlaubt es auch heute nicht, dass die Revolution, auf der der Staat gründet, so offen behandelt wird, wie dies im Spiel geschieht.

Darum wird Navid Khonsari so schnell nicht wieder in das Land seiner Eltern reisen. "Ich sorge mich um die willkürliche iranische Justiz", meint er: "Selbst wenn gegen mich nichts vorliegt, könnte ich dort für Dinge verhaftet werden, die ich nicht getan habe." Einige, die ihm bei dem Spiel geholfen haben, wollten zur Sicherheit nicht mit Namen im Abspann genannt werden.


"1979 Revolution" für PC, 11,99 Euro, iOS und Android-Versionen sind in Vorbereitung.