Zum Inhalt springen

Schmähgedicht auf Erdogan Staatsaffäre Böhmermann - die Fakten

Aus Satire wird ein internationaler Skandal: Die Bundesregierung hat die deutschen Justizbehörden auf Antrag der Türkei ermächtigt, ein Strafverfahren gegen Jan Böhmermann einzuleiten. Um was geht es? Und was hat Böhmermann genau gesagt? Der Überblick.
Böhmermann-Screenshot aus "Neo Magazin Royale" vom 31.3.

Böhmermann-Screenshot aus "Neo Magazin Royale" vom 31.3.

Foto: ZDFneo

Worum geht es bei der "Staatsaffäre Böhmermann"?

Die türkische Regierung hat in einer Verbalnote an das Auswärtige Amt die Strafverfolgung des Satirikers Jan Böhmermann gefordert. Es geht um sein umstrittenes Erdogan-Gedicht. Die Bundesregierung hat dem Antrag am Freitag entsprochen und die Behörden ermächtigt, ein entsprechendes Verfahren einzuleiten.

Warum musste die Bundesregierung prüfen?

Weil eine Strafverfolgung wegen der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes nach Paragraf 103 des Strafgesetzbuches  nur möglich ist, wenn ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt.

Was ist der Stein des Anstoßes?

In der Sendung "Neo Magazin Royale", die am Abend des 31. März bei ZDF neo ausgestrahlt wurde, trug Jan Böhmermann unter dem Titel "Schmähkritik" ein Gedicht vor, in dem Recep Tayyip Erdogan verschiedene potenziell beleidigende Attribute und Tätigkeiten zugeschrieben wurden.

Darunter sind Klischees über Türken mit rassistischen Anklängen ("Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner"), Pennälerhumor-Ausdrücke ("Die dumme Sau hat Schrumpelklöten"), persönliche Verunglimpfungen ("Sein Kopf so leer wie seine Eier"), Vermischungen von politischer Kritik und verrufenen sexuellen Praktiken ("Am liebsten mag er Ziegen ficken und Minderheiten unterdrücken, Kurden treten, Christen hauen und dabei Kinderpornos schauen") - und all diese negativen Zuschreibungen kommen im Stakkato.

Das Gedicht war allerdings ausdrücklich eingebettet in eine Moderation, die Bezug nahm auf den satirischen Song "Erdowie, Erdowo, Erdowan" aus der NDR-Sendung "Extra 3", der zur Einbestellung des deutschen Botschafters in der Türkei geführt hatte. Solche Beiträge seien in Deutschland durch die Kunst- und Pressefreiheit gedeckt, hatte Böhmermann erläutert: "Das darf man hier."

Anders sei dies bei einer herabwürdigenden Schmähkritik, die nicht erlaubt sei. "Vielleicht erklären wir das an einem praktischen Beispiel", kündigte der Satiriker an und trug dann das "Schmähkritik"-Gedicht vor - mit dem Hinweis: "Was jetzt kommt, das darf man nicht machen."


Zur Dokumentation hier das Protokoll der kompletten Passage aus der "Neo Magazin Royale"-Sendung vom 31.3.:

Jan Böhmermann: Willkommen in Deutschlands Quatschsendung Nummer eins! Wir sinds. Wir haben mit Satire nichts am Hut.

Sidekick Ralf Kabelka: Genau!

Böhmermann: Was die Kollegen in Hamburg bei "Extra 3" da gemacht haben, diese dicken Bretter, die können wir hier, sind wir nicht imstande zu bohren.

Kabelka: Schaffen wir nicht!

Böhmermann: Und ich sage: Hut ab! Große Nummer!

Kabelka: Das ist eine ganz andere Liga. Auch die "heute-show", wie gut die ist!

Böhmermann: Die "heute-show", die finde ich richtig gut. Wenn ich in der Vergangenheit gerüchteweise gehört habe, dass wir hier scharf auf den Sendeplatz sind von der "heute-show", oder auf irgendwas, das Oli Welke gehört: Das würde ich niemals sagen, das stimmt nicht, auf gar keinen Fall. Oli! (Kusshand) Liebe Grüße! Riesenfan! Schau ich jede Woche, um mich inspirieren zu lassen.

Und Satire: "Extra 3" hat diese Woche fast den dritten Weltkrieg ausgelöst - dafür erst mal einen großen Applaus! Ja! Mit 'ner Supernummer. Und das muss man vielleicht mal ... Offensichtlich schaut man in der Türkei jede noch so kleine Satire- oder Quatschsendung, also wahrscheinlich auch diese. Vielleicht, liebe Türken, wenn Sie das jetzt - (Sirenengeräusch) - wenn Sie das jetzt sehen: Vielleicht muss man da ganz kurz was erklären: Was die Kollegen von "Extra 3" da gemacht haben, also inhaltlich humorvoll mit dem umgegangen sind, was Sie da quasi politisch unten tun, Herr Erdogan - das ist in Deutschland, in Europa gedeckt von der Kunstfreiheit, von der Pressefreiheit, von der Meinungsfreiheit...

Kabelka: Artikel 5!

Böhmermann: Was?

Kabelka: Artikel 5, Grundgesetz.

Böhmermann: Artikel 5 unseres Grundgesetzes, unserer tollen Verfassung: Das darf man hier. Da können Sie nicht einfach sagen, die Bundesregierung soll die Satire zurückziehen oder das muss irgendwie gelöscht werden aus dem Internet. In Deutschland ist so was erlaubt, und ich finde es ganz toll, wie in dieser Woche die Zivilgesellschaft aufgestanden ist - von Beatrix von Storch, die noch vor zwei Wochen mich erschießen lassen wollte, glaube ich, wegen dieses komischen Songs, den wir gemacht haben. Und jetzt ist sie auf einmal ganz vorne dabei, wenn es um Pressefreiheit und Kunstfreiheit geht. Alle Leute waren auf einmal auf einer Linie: Das muss zugelassen werden! Je suis "Extra 3".

Kabelka: Sehr gut.

Böhmermann: Herr Erdogan, es gibt Fälle, wo man auch in Deutschland, in Mitteleuropa Sachen macht, die nicht erlaubt sind. Also: Es gibt Kunstfreiheit - Satire und Kunst und Spaß - das ist erlaubt. Und es gibt das andere, wie heißt es?

Kabelka: Schmähkritik.

Böhmermann: Schmähkritik. Das ist ein juristischer Ausdruck, also: Was ist Schmähkritik?

Kabelka: Wenn du Leute diffamierst. Wenn du einfach nur so untenrum argumentierst, ne? Wenn du die beschimpfst und wirklich nur bei privaten Sachen, die die ausmachen, herabsetzt.

Böhmermann: Herabwürdigen. Und das ist in Deutschland auch nicht erlaubt?

Kabelka: Das ist Schmähkritik, ja.

Böhmermann: Haben Sie das verstanden, Herr Erdogan?

Kabelka: Das kann bestraft werden.

Böhmermann: Das kann bestraft werden? Und dann können auch Sachen gelöscht werden - aber erst hinterher, nicht vorher?

Kabelka: Erst hinterher.

Böhmermann: Das ist vielleicht ein bisschen kompliziert - vielleicht erklären wir es an einem praktischen Beispiel mal ganz kurz. Ich hab ein Gedicht, das heißt "Schmähkritik". Können wir vielleicht dazu eine türkisch angehauchte Version von einem Nena-Song haben? Und können wir vielleicht ganz kurz nur die türkische Flagge im Hintergrund bei mir? Sehr gut.

Also, das Gedicht. Das, was jetzt kommt, das darf man nicht machen?

Kabelka: Darf man NICHT machen.

Böhmermann: Wenn das öffentlich aufgeführt wird, das würde in Deutschland verboten.

Kabelka: Bin der Auffassung: das nicht.

Böhmermann: Okay. Das Gedicht heißt "Schmähkritik".

Sackdoof, feige und verklemmt,
ist Erdogan, der Präsident.
Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner,
selbst ein Schweinefurz riecht schöner.
Er ist der Mann, der Mädchen schlägt
und dabei Gummimasken trägt.
Am liebsten mag er Ziegen ficken
und Minderheiten unterdrücken,

Böhmermann: Das wäre jetzt quasi 'ne Sache, die...

Kabelka: Nee!

Kurden treten, Christen hauen
und dabei Kinderpornos schauen.
Und selbst abends heißts statt schlafen,
Fellatio mit hundert Schafen.
Ja, Erdogan ist voll und ganz,
ein Präsident mit kleinem Schwanz.

Böhmermann: (lacht über eine Keyboard-Arabeske der Band) Wie gesagt, das ist 'ne Sache, da muss man...

Kabelka: Das darf man NICHT machen.

Böhmermann: Das darf man nicht machen.

Kabelka: Nicht "Präsident" sagen.

Jeden Türken hört man flöten,
die dumme Sau hat Schrumpelklöten.
Von Ankara bis Istanbul
weiß jeder, dieser Mann ist schwul,
pervers, verlaust und zoophil -
Recep Fritzl Priklopil.
Sein Kopf so leer wie seine Eier,
der Star auf jeder Gangbang-Feier.
Bis der Schwanz beim Pinkeln brennt,
das ist Recep Erdogan, der türkische Präsident.

Böhmermann: Also, das dürfte man in Deutschland...

Kabelka: Unter aller Kajüte!

Publikum applaudiert

Böhmermann: Ganz kurz. Hey! Hey! Hey!

Kabelka (wütend): Nicht klatschen!

Böhmermann: Dankeschön. Also, das ist jetzt 'ne Geschichte, was könnte da jetzt passieren?

Kabelka: Unter Umständen nimmt man es aus der Mediathek! Das kann jetzt rausgeschnitten werden.

Böhmermann: Also, wenn die Türkei oder ihr Präsident da was dagegen hätte, müsste er sich erst mal 'nen Anwalt suchen.

Kabelka: Ja, genau.

Böhmermann (blickt in die Kamera): Ich kann Ihnen sehr empfehlen unseren Scherzanwalt, Dr. Christian Witz in Berlin.

Kabelka: Der berät auch den Berliner Bürgermeister.

Böhmermann: Der berät auch den Berliner Bürgermeister, unser Scherzanwalt Dr. Christian Witz?

Kabelka: Der macht einfach alles.

Böhmermann: Darf der das denn eigentlich?

Kabelka: Der macht Atze, Pocher und den Berliner Bürgermeister

Böhmermann: Unser Scherzanwalt Dr. Christian Witz! Nehmen Sie sich 'nen Anwalt, sagen Sie, Sie haben da was im Fernsehen gesehen, was Ihnen nicht gefällt - Schmähkritik - und dann geht man erst mal vor ein Amtsgericht. Einstweilige Verfügung, Unterlassungserklärung. Dann wird wahrscheinlich die Sendung, die das gemacht hat oder der Sender wird dann sagen: Nö, das sehen wir anders, und dann geht man die Instanzen hoch, und irgendwann in drei, vier Jahren... Wichtig ist: Sie müssen dafür sorgen, dass es nicht im Internet landet. Ganz wichtig, dass die Ausschnitte nicht...

Kabelka: Aber das macht doch keiner!

Böhmermann: Das macht keiner, kann ich mir auch nicht vorstellen.

Kabelka: Man hats in der Mediathek, normalerweise.

Böhmermann: Warum soll mans dann ins Netz stellen? Ist es jetzt klar?

Kabelka: Ich glaub schon.

Böhmermann: Ich finde es ganz wichtig.


Wie reagierte das ZDF?

Das ZDF erwirkte am Nachmittag des 1. April die Löschung von Clips mit Jan Böhmermanns "Schmähkritik" von Videokanälen wie YouTube. Zudem wurde die "Neo Magazin Royale"-Folge zunächst aus der ZDF-Mediathek gelöscht und später um den umstrittenen Beitrag gekürzt wieder eingestellt. ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler betonte, man habe zwar bei "Satireformaten breite Schultern", aber es gebe auch "Grenzen der Ironie und der Satire. In diesem Fall wurden sie klar überschritten."

Was sagt die Bundesregierung?

Nachdem das Auswärtige Amt die Rechtslage geprüft hatte, sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel das Thema in einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu an. Die Regierungschefs seien sich einig gewesen, "dass es sich um einen bewusst verletzenden Text handele", so der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert.

Was machte Jan Böhmermann?

Die Löschung des Gedichts kommentierte Jan Böhmermann auf Facebook mit den Worten: "Ich denke, wir haben heute am 1. April 2016 gemeinsam mit dem ZDF eindrucksvoll gezeigt, wo die Grenzen der Satire bei uns in Deutschland sind. Endlich!"

Nachdem die Staatsanwaltschaft Mainz nach Anzeigen von Privatpersonen gegen Böhmermann und ZDF-Verantwortlichen strafrechtliche Ermittlungen aufgenommen hatte, sagte der Satiriker seinen Auftritt bei der Verleihung der Grimmepreise ab. Zudem wandte er sich nach SPIEGEL-Informationen mit der Bitte um Beistand an Kanzleramtsminister Peter Altmaier.

Wie hat die Bundesregierung entschieden?

Die Bundesregierung hat am Freitag, 15. April, die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt. Damit ist der Weg frei für ein Strafverfahren gegen Böhmermann wegen Beleidigung des türkischen Staatschefs. Zudem kündigte Merkel an, den umstrittenen Strafparagrafen zur Beleidigung ausländischer Staatschefs abzuschaffen. Paragraf 103 des Strafgesetzbuches sei nach Auffassung der Bundesregierung "für die Zukunft entbehrlich", sagte sie. Noch in dieser Wahlperiode werde ein entsprechender Gesetzentwurf verabschiedet, der 2018 in Kraft treten solle.

feb/dpa/AFP