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Fotostrecke Nachdreh: Dortmunds B-Elf holt Punkt auf Schalke

Foto: WOLFGANG RATTAY/ REUTERS

Dortmunds Derby-Remis Rotation statt Emotion

Eine rauschende zweite Halbzeit, vier Tore - das Derby zwischen Schalke und Dortmund hatte einen hohen Unterhaltungswert. Doch für den Visionär Tuchel sind andere Erkenntnisse wichtiger.

Thomas Tuchel gilt als akribischer Arbeiter. Ein Trainer, der lange über Aufstellungen und Taktik nachdenkt, unterschiedliche Wendungen einer Partie in seinem Kopf durchspielt. Der gerne auch Lösungen für Probleme entwickelt, die es noch überhaupt nicht gibt. Tuchel will Antworten auf alle nur erdenklichen Frage haben.

Menschen dieses Schlags neigen oft dazu, mehr Wert auf die Zukunft als auf die Gegenwart zu legen.

So verwundert es nicht, dass Tuchel eine Mannschaft ins Derby gegen den FC Schalke 04 geschickt hat, die so wohl nie wieder zusammenspielen wird. Ein Großteil der eingesetzten Spieler hat ihren Stammplatz sonst eher auf der Bank oder der Tribüne.

Moritz Leitner, Adrián Ramos, Christian Pulisic: Sie alle durften nun das - zumindest für viele Fans - wichtigste Spiel der Saison, das Derby, spielen. Denn Tuchel, dem Tüftler, war das prestigeträchtige Duell weit weniger wert als die Spiele, die noch kommen werden. Allen voran: Das Rückspiel gegen den FC Liverpool und Jürgen Klopp, bei dem es am Donnerstag (21.05 Uhr, High-Liveticker SPIEGEL ONLINE) um den Einzug ins Europa-League-Halbfinale geht.

Tuchel setzt Prioritäten

Für dieses Spiel braucht Tuchel frische Spieler und keine, die sich im Derby aufgerieben haben. Er gab mit seiner Aufstellung gleichzeitig jede Chance auf den Gewinn der Meisterschaft auf: "Es ist ein sehr realistisches Szenario, dass die Bayern Meister werden", sagte Tuchel.

In der Tat: Die Ausgangslage in Sachen Meisterschaft war für den BVB vor dem Spiel ernüchternd. Nach Bayern Münchens 3:1-Sieg über den VfB Stuttgart war der Fünf-Punkte-Vorsprung des Rekordmeisters bei noch ausstehenden fünf Ligaspielen tatsächlich ziemlich krisensicher.

Tuchel hat eine kluge Entscheidung getroffen - auch wenn diese Einschätzung Kritiker auf den Plan rufen wird. Er hat den Fokus auf die Titel gelegt, die der BVB realistisch betrachtet am ehesten noch gewinnen kann: Den DFB- und Europapokal. Das ist die Zukunft, die für Tuchel aber heute beginnt.

Denn durch seine Rotation hat er nicht nur seine Stammkräfte geschont, sondern er hat auch den Konkurrenzkampf im Kader weiter angefacht. Und er hat gezeigt, dass nach weniger als einem Jahr, das er beim BVB ist, das System Tuchel mittlerweile beinahe unabhängig von Einzelspielern recht solide funktioniert. Das ist vielleicht die größte Errungenschaft dieses Trainers, dass er es geschafft hat, ein System, geprägt von Ballbesitz, schnellen Pässen in die Schnittstellen der Abwehr und klugen Kontern zu etablieren, das von beinahe jedem Spieler im Kader umsetzbar ist.

"Waren zu 100 Prozent sicher, dass diese Mannschaft wettbewerbsfähig ist"

"Klar, wir haben heute gesehen, dass es die eine oder andere Abstimmungsproblematik gab. Aber das waren kleinere Probleme, insbesondere, wenn man sieht, dass wir so noch nie zusammen gespielt haben", sagte Nuri Sahin nach dem 2:2-Unentschieden gegen Schalke.

Dortmunds Reservetruppe war gegen die Schalker Mannschaft, die nach dem 0:3-Debakel in Ingolstadt einiges gegenüber den eigenen Fans wieder gut machen musste und auch so auftrat, trotzdem spielbestimmend. Der BVB hatte die Kontrolle im Mittelfeld, vor allem Sahin schaffte es, dem Spiel der Borussia Ruhe und Souveränität zu verleihen. Lediglich der fehlende oder schlampige letzte Pass in den Strafraum und die Anfälligkeit bei Kontern verhinderten, dass der BVB als Sieger den Platz verließ.

"Die heutige Aufstellung hatte ich schon länger im Kopf. Kurz nach unserem Liverpool-Spiel habe ich sie auch auf die Tafel im Trainerbüro geschrieben. Wir waren zu 100 Prozent sicher, dass diese Mannschaft wettbewerbsfähig ist", sagte Tuchel. Er konnte aus diesem Testspiel in Derby-Verpackung auch einige schlaue Erkenntnisse gewinnen: Pulisic, 17 Jahre jung, ist ein Spieler, der so unbekümmert und frech auftritt, dass ihm beim BVB die Zukunft gehören wird.

Sven Bender ist ein großartiger Innenverteidiger, man fragt sich, warum er das nicht schon sein ganzes Leben spielt, sondern erst, seitdem Tuchel da ist. Matthias Ginter kommt langsam wieder in Form, zeigte ein sehr cleveres Spiel. Ramos hingegen wird wohl für immer ein guter, kopfballstarker Joker bleiben. Für die Stammformation ist er einfach technisch zu limitiert. Leitner dagegen ist technisch stark, es bleiben aber Zweifel an seiner Mentalität. Leitner lässt jede Chance liegen, die ihm Tuchel anbietet.

Solche Erkenntnisse sind wichtig, wenn man die nächsten Schritte in der Entwicklung einer Mannschaft angehen möchte. Tuchel hat sicherlich auch diese Zukunft im Hinterkopf.